Die selbstverschuldete Müdigkeit

Keine Frage: die Digitalisierung greift in viele Leben ein, verändert die Art, wie wir leben, wie wir arbeiten, wie wir miteinander interagieren. Nicht bei allen, nicht alles, nicht überall, nicht gleichzeitig. Aber ich ertappe mich immer häufiger dabei, wie ich denke: „Och ne, jetzt kommt schon wieder einer, der die Debatten gerne bei Null beginnen will.“

Das ist natürlich selbstgerecht, da auch vor dem Zeitpunkt, an dem ich mich mit ihnen zu beschäftigen begann, viele kluge Menschen bereits viele kluge Gedanken zur Digitalisierung geäußert hatten (siehe z. B. LTB 118, „Entenhausen wird vernetzt“), die ich sicherlich auch nicht alle durchdrungen habe. Auch heute nicht. Auf der anderen Seite bin ich genervt von den Netizens, die glauben, dass das, was sie denken, ein so exklusives Wissen wäre, dass alle, die nicht den ganzen Tag Twittern, Ello’n, ADNen oder welche heißen Schei* auch immer gerade nutzen, dass die alle komplett ahnungs- und planlos seien und daher am besten einfach mal die Klappe halten sollten. Zwar stimmt das in Einzelfällen immer wieder.

Aber diese arrogante Attitüde, von vornherein anzunehmen, dass, wer nicht die OSI-Layer auswendig kann, über digitale Fragen doch bitte nicht zu entscheiden habe und aufgrund von Inkompetenz disqualifiziert wäre, das ist im Digitalkontext noch weiter verbreitet als in anderen Bereichen. Und das ist traurig. Und es macht mich müde.

Wenn es an zwei Dingen dem digitalpolitischen Diskurs im Jahr 2014 immer noch mangelt, dann sind es zwei Eingeständnisse:

1. Die digitalen Diskurse werden von weiten Teilen der Politik bis heute nicht verstanden. Das hat auch viel mit der Arroganz einer politischen Kaste zu tun, die sich das öffentlich nicht eingestehen darf. Aber wer zum Beispiel Sigmar Gabriels Parteikonventsrede gehört hat oder sich an die Vorstellung der Digitalen Agenda erinnert, der merkt, dass der SPD-Vorsitzende zwar einen groben Eindruck gewonnen hat, dass Digitalisierung vieles umkrempelt. Aber das Gefühl, was das eigentlich bedeutet, für jeden Einzelnen und für die Gesellschaft als Ganzes, das geht ihm bislang immer noch weitgehend ab. Noch krasser: Günther Oettinger kommt nun wie die Jungfrau zum Kinde, als EU-Kommissar für Digitale Wirtschaft und Gesellschaft.

2. Die politischen Diskurse werden von weiten Teilen der Netzeliten bis heute nicht durchdrungen. Und natürlich kann man sich darüber lustig machen, wenn Manuela Schwesig vom „Onlinefaxgerät“ fabuliert, das für den Brummifahrer heutzutage unverzichtbar sei. Natürlich kann man darüber den Kopf schütteln, wenn der Innenminister Thomas de Maizière die Formel „Überwachung = Supervision = Total ehrenhaft“ in den Raum wirft. Der Mann, der ohne seine BKA-Bodyguards nicht mal im Supermarkt einkaufen darf, die ihn zu seinem Schutz quasi rund um die Uhr supervisionieren müssen und dürfen. Aber: das hilft wenig.

 

Denn was fehlt, sind die Erklärungen, die Politiker verstehen – und ja, das Interesse dort ist groß, und sei es nur aus taktischem Kalkül.

Warum ist es nicht ok, wenn das G10-Gesetz so aussieht, wie es heute aussieht? Warum sind Funktechnologien kein adäquater Breitbandzugang für das Heim und die notwendigen Milliardeninvestitionen über Nicht-Telko-Akteure vielleicht richtig?

Warum könnten 3D-Druck- oder Fräszentren, könnten intelligente Sharing-Mechanismen und Stromverbrauche die geopolitische Struktur aus den Angeln heben?

Warum ist es mittelfristig eine gute Idee, dass Staaten Geld in die Hand zu nehmen und Anreize für eine stärkere IT-Wirtschaft in Deutschland und Europa zu setzen?

Warum muss ein Staat wirkliche Kryptografie für richtig halten, selbst wenn ihm das an anderer Stelle weh tut und dann bestimmte Aufgaben Grenzen erfahren?

Warum sollte man die organisatorische Macht im Netz nicht allein den USA, die technische Macht in der Hardware nicht allein China überlassen?

Wenn Code is Law die Neuinterpretation der ’normativen Kraft des Faktischen‘ ist, welche Normen benötigen wir dann für Code – und wo werden sie von wem gemacht, und unter welchen Prämissen?

All das sind offene Fragen. Es sind Fragen, mit denen Politik auch etwas anfangen kann. Und es sind Fragen, auf die die Antworten aus dem digitalpolitischen Umfeld immer noch viel zu dünn sind. Es fehlt am ideologischen Unterbau, es fehlt an der Kontextualisierung in den Debatten, die sonstwie politisch sind. Es sind aber auch Fragen, die kaum ein Akteur alleine beantworten kann. Ja, geredet wird seit Jahren. Und nur zu oft sind beide Seiten nur mit Schaufensterreden dabei, die ihre jeweilige Klientel zufriedenstellen soll. Und werden dabei so müde, wie ich. Selbstverschuldete Müdigkeit, wohlgemerkt.

3 thoughts on “Die selbstverschuldete Müdigkeit

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  1. Meine Erfahrung: Das einzige, das etwas bewirkt hat, waren die Wahlerfolge der Piratenpartei. Eine andere Sprache versteht die politische Elite nicht.

  2. Idee: Plattform schaffen, auf der diese Fragen ausformuliert sind. Danach kann jeder, der meint, etwas dazu zu sagen zu haben, seine Antwort drunter schreiben. Über eine Bewertungsfunktion kann die Qualität der Antworten gewichtet werden.

  3. Das sagte Sascha Lobo in etwa auf der re:puplica 2013. Wir müssen zusammen mit den Politikern Netzpolitik betreiben und es so erklären, das es auch Frau Merkel versteht. Nur dann kann es vielleicht was werden. Stimmt aber, es wird zu viel um den heißen Brei geredet.