Die Krautreporter – Alles, Nichts, Oder!?

Gratulation, Krautreporter! Deutlich über ein Jahr ist es nun her, dass es hieß:

Nur wenige Wochen später war dann Krautreporter plötzlich nicht mehr die Crowdfunding-Plattform für individuelle journalisitsche Projekte, sondern etwas ganz Neues (naja, fast) auf dem Markt: „Krautreporter – das Magazin“.

Gut, interessiert vielleicht kein Schwein mehr, aber auch ich habs damals mitfinanziert. Weil ich viele der Kollegen, die dafür ihren Namen gaben, für gute Journalisten halte (und, das sollte ich der Fairness halber sagen, es für mich eh eine Betriebsausgabe ist). Niggemeier, Wiegold, Weinreich, jeder für sich, jeder in seinem Metier sehr gut. Könnte da nicht etwas ganz Neues, etwas wirklich Gutes entstehen?

Das Alles-oder-nichts-Prinzip, die Emotionalisierung, ist das Wesen von Crowdfunding.

Alles, Nichts, Oder? Ja, an genau dieses Lowlight deutscher Fernsehgeschichte muss man sich nach einem Jahr erinnert fühlen. Denn so lang ist es her, dass man sagen darf: es war die Kraut, die sich was trowt. Mit Journalismus, oder zumindest journalistischen Gehversuchen, startete die Plattform erst Monate später. Davor und danach lag: Streit. Streit um die Frage, was denn diese Krautreporter sein sollen und wollen. Streit um die Frage, was wirklich wichtig sein könnte. Streit um die Frage, wie viel Einkünfte aus der Bundesregierungskasse bei einem Schreiber noch kompatibel mit dem versprochenen unabhängigen, journalistischen Anspruch sind. Streitstreitstreit.

Ich hatte vor einem Jahr schon einmal zu den Krautreportern gebloggt, mich und alle anderen gefragt, wie weit bei ihnen Anspruch und Wirklichkeit wohl auseinanderklaffen werden.

Eine der Ankündigungen von damals:

wir wollen aus der GmbH eine Genossenschaft machen

Ich habe nie wieder etwas davon gehört, aber ich habe auch nicht mehr nachgefragt und für diesen Blogpost auch nicht mal mehr nachgegoogelt (Spekulation: vielleicht ist bei den Genossen in Spe auch nur das Interesse erloschen). Dann aber sehe ich dieses Interview bei Zapp mit Sebastian Esser, dem „Herausgeber“ des Krautreporter-Magazins. Und irgendwie muss ich sehr lachen, so traurig ist das.

Frage der Reporterin Caro Ebner: „Vielen fehlt aber tatsächlich sozusagen das Relevante, das, was ihr vorher versprochen habt.“

Die Antwort vom Krautreporter-Boss Sebastian Esser:

„Was ist Relevanz, ja? Ich mein das wirklich nicht kokettierend, sondern – Relevanz kann ja nicht bedeuten, dass die ganze Welt darüber spricht. Sondern für uns ist eben was anderes relevant. Wenn wir zum Beispiel – oh Gott, jetzt muss ich hier ein Beispiel aus dem Hut zaubern – also wenn wir jetzt zum Beispiel gestern einen Artikel dazu veröffentlichen, dass, wenn man dick ist, dass das nicht bedeutet, dass man weniger lang lebt, dann ist das ein wahnsinnig relevantes Thema. Sicherlich nicht so relevant, dass es die zweite Meldung in der Tagesschau wäre, aber das ist auch nicht unser Anspruch. Ich glaube: das wäre auch zu viel verlangt mit den Strukturen und auch der finanziellen Ausstattung die wir hier haben, hat glaube ich niemand erwartet, dass wir jetzt hier der neue Spiegel sind.“

Ich bin gerne bereit, den entsprechenden, anteilig für KR nun bei mir nicht mehr fälligen Jahresbeitrag zu zahlen. Die Kontoverbindungen, bitte – und eine ordnungsgemäße Rechnung…

Was Krautreporter selbst betrifft, fühle mich erinnert an den einzigen Witz aus Alles, Nichts, Oder?!, der sich mir ins Gehirn eingrub. Hugo Egon Balder durfte blödeln: Am Geburtshaus von Hella von Sinnen in Gummersbach habe man ein Schild angebracht. Darauf steht: [Kunstpause..] Köln, 40 Kilometer.


Heute dann, während dieser Blogpost noch etwas vor sich hinschimmelte, schrieb Nochabernichtmehrsorecht-Krautreporter Stefan Niggemeier (Krautreporter-Beiträge: 8. Davon 2015: 3) einen eigenen Blogpost. Der ist mit Sicherheit nur halb so scharf, wie Stefan Niggemeier als Berichterstatter über Krautreporter geschrieben hätte. Aber er wirft das Problem auf, das dann die mangelnde Relevanz mit sich bringt:

Uns trieb die Lust an, ein neues Geschäftsmodell auszuprobieren, aber nicht unbedingt eine gemeinsame redaktionelle Idee.

Tja. Um jemand anderen, mit dem ich dazu telefonierte – kein Krautreporter – und dem ich Anonymität zusagte, zu zitieren:

Selbst wenn ich wohlwollend wäre, was sollte ich sagen?

Alles? Nichts? Oder? Ratlos.