Smart ist das alles nicht.

Ich habe beruflich viel mit SmartIrgendwas zu tun, ich bin privat seit vielen Jahren viel zu häufig mit irgendwelchen seltsamen Gerätschaften beschäftigt, aber ich bin vom Stand der digitalen Welt nachhaltig enttäuscht – jede Menge Schrott wird als Innovation verkauft, der aber nur anderen Schrott weniger schlimm scheinen lässt. Und ich bin schrecklich genervt von der Bräsigkeit des digitalen Fortschritts. Zu abstrakt? Gut, los gehts.

Ich bin in meinen Kindertagen in den 80ern mit Computern erstmals in Berührung gekommen und eigentlich gilt auch für die 90er noch: alles gut. Da waren Computer klobig, die Grafik hässlich und der Sound ein mehr oder weniger fieses Gefiepse. Alles war langsam und irgendwie auch sehr grau-bräunlich. Aber: jedes Problem schien lötbar oder zumindest anderweitig lösbar. Nur: weit gekommen sind wir seitdem eigentlich nicht. Alle Bauteile sind schneller geworden und mit den Akkus können wir einfacher mobil sein. Aber wo sind die großen Inspirationen? Die Visionen? Was sollen Computer uns allen bringen? Wie sollen sie sein? Warum diskutieren wir das nicht, wenn wir sie doch überall hineinverbauen?

Apple hat vor kurzem eine Uhr vorgestellt. Sie ist ein Minirechner mit Display und Zusatzfunktionen. Sie braucht ein iPhone. Was wäre das für ein Gerät, wenn die Apfelfirma einen anderen Weg gegangen wäre? Telefonfunktion wird in Uhr integriert und ist per Headset nutzbar, Display wird genutzt was gerade in der Nähe ist (Armgelenkdisplay, iPad, iPhone, Fernseher, Monitor), Eingabe per Handbewegung und Sprachsteuerung? Uninspirierter Schrott, der nur als Luxusschmuck taugt, so mein unqualifiziertes Urteil, aber keinerlei Smartwatch.

Alle reden heutzutage von SmartIrgendwas, alle Firmen bieten total smarten Shice an, den Nachfolger von Multimedia, VirtualReality und 2.0. Aber kaum etwas ist wirklich smart an den Lösungen, die derzeit in den Markt gepusht werden. Ab hier wirds nun rantig. Denn:

Was zum Beispiel ist smart an einer Smartphonegesellschaft, bei der die Teilhabe so teuer ist, dass sich Jugendliche zu Tausenden mit Verträgen überschulden, die sie sich gar nicht leisten können – und was ist smart daran, dass das schon seit über 10 Jahren so passiert?

Was ist smart an einer smarten Stadt, in der die Ampeln bis heute stumpf im eingestellten Takt geschaltet sind, unabhängig davon, wie die reale Verkehrslage ist, ob eine Tram vor einer Ampel steht oder nicht? Was ist smart daran, dass ein sich rapide leerendes Parkareal mit Schranke das nicht an die Verkehrssteuerung der Ausfallstraßen der Umgebung weitermelden kann?

Was ist smart daran, dass Behörden, Ämter und andere öffentliche Stellen ihre datenschutzrechtlich unproblematischen Daten auch nach Jahren der OpenData-Diskussionen immer noch nicht standardmäßig ihren Bürgern und auch Unternehmen zur Verfügung stellen, beispielsweise Daten aus der Lebensmittelkontrolle, aus Gewässergüteuntersuchungen, aus Umweltbelastungen, aus Geodatenbanken? Daten, die für andere einen Mehrwert bilden können, wenn sie wiederum mit einem anderen Nutzen verknüpft werden, an den die zuständige Stelle vielleicht gar nicht erst denkt? Was ist das Problem daran, zu sagen: wenn ein Restaurant eine schimmlige Küche hat, warnen wir Bürger davor – auch im Netz?

Was ist smart daran, dass ich bis heute keine journalistische Publikation kenne, die Gegenstände oder Dienstleistungen testet, die mir über eine App pauschal ihre Testergebnisse und Datenpunkte zugänglich macht, wenn ich im Laden stehe, und gerade überlege, etwas zu kaufen oder eben nicht?

Und was ist smart an einer SharingEconomy, die daraus besteht, dass Einwohner durch AirBnB-Wohnungen verdrängt werden, weil die Rechnung „7x im Monat Touristen für 2 Nächte a 120 EUR = deutlich mehr als normale Mieteinnahme“ aufgeht? Was ist smart daran, wenn Putzmenschenportale aus dem Boden gestampft werden, die zwar über das Portal haftpflichtversichert werden, die aber als selbständige Tagelöhner von den Plattformen abhängig werden? So wie selbständige Uberfahrer, selbständige Paketboten? Was ist smart daran, wenn die Reicheren es sich leisten können, dass das Leben der anderen aus Putzen von 8-11 für Putzling, dann bis 14 Uhr Essen ausradeln für Foodbergs, dann 2h Leerlauf, dann wieder Putzen oder Essen ausradeln besteht? Für 10-13 Euro (Arbeitgeberbrutto) und ohne Rentenversicherung? Was ist smart daran, dass diese Leute heute die Rentenkassen nicht mitfüllen und morgen vom Sozialstaat durchgefüttert werden müssen? Also von denen, die heute ihr Essen von ihnen liefern lassen?

Und was ist Smart am sogenannten „SmartTV“? Die Geräte sind langsam, sie sind in App-Universen gefangen, pusten viel zu viele Daten nach außen, haben kaum sinnvolle Funktionen. Gut, Fernseher sind per se keine besonders innovativen Geräte, aber sie deswegen gleich mit lauter Mist vollzuwerfen und Benutzerführungen zu versehen, an denen 90% der Bürger komplett scheitern dürften, und das dann Smart zu nennen, ist eine Frechheit.

Was ist smart daran, wenn in Deutschland Massennachmach-08/15-Investorenfuzzis als Startupszene betrachtet werden? Was ist smart daran, dass bis heute die Regelungen dafür nicht ausgelegt sind, wenn ein Arbeitnehmer aus guten Gründen zeitweise woanders denn im Büro arbeiten möchte? Was ist smart daran, wenn in Deutschland zwar tausende Forscher irgendetwas zusammenforschen, aber keine Firmen da sind, die die Dinge in die Anwendung bringen? Es ist ja schön, dass es so viel produzierendes Gewerbe und Industrie gibt, aber wo sind die Softwarehersteller, die Hardwarehersteller, die auch die Infrastrukturlösungen für diese entwickeln? Wo ist die Firma, die für Gastronomiebetriebe ein integriertes System aus Kundenbestelllösung, Kassiererhandheldoberfläche, ein Kassen- und Warenwirtschaftssystem mit angeschlossener Buchhaltungssoftware und korrekt erstellem Datendurchschlag an Steuerberater anbietet? Wo ist die Personalverwaltungssoftware zur Einmeldung von sich per eID identifiziert habenden Arbeitnehmern bei Sozialversicherungsträgern, Finanzamt und Krankenversicherung? Wo sind die digitalen Produkte, die nicht nur digitale Dienstleistungsanbahnung aka Onlineshopping sind?

Ich mag ungerecht sein gegenüber vielen in der deutschen „Startup-Szene“, was auch immer das ist, ich mag auch einigen Unternehmen aus der mehr oder minder alten Economy Unrecht tun. Aber: mit diesem Gemurkse, wirtschaftlich, politisch und gesellschaftlich, ist kein digitaler Fortschritt zu machen. Während gleichzeitig die Chancen herumliegen. Die Chancen, das sind: Neue Produkte, neue Dienstleistungen, die einem konkreten Problem abhelfen und das Leben vereinfachen oder das Leben um etwas bereichern, was es so bislang nicht gibt.

Aber man kann natürlich auch Social Media Marketing für Möbelmärkte verkaufen, den 87. Klon eines halberfolgreichen US-Startups gründen um sich dann mit der zweiten Finanzierungsrunde selbst mehr als refinanziert habend zu verabschieden. Geht alles. Aber gut ist das bei weitem nicht. Und was mich am meisten ärgert: dieser halbgare Quatsch wird gehypet, die „Gründer“ (viele sind oft eher nur Finanziers) umarmt und auch in der Politik gibt es viele, die glauben, dass das, was vordergründig geiler Shice ist tatsächlich positiv die Richtung weisen würde. Dabei ist der Großteil ein irres Business-Wannabe-Rumgestümper. Schmeißt die BWLer unter den Gründern raus, schmeißt mehr Wagniskapital auf die Techies, bringt die mit Realweltproblemen und Fachleuten zusammen und helft ihnen dann beim laufen. Und schmeißt das blöde Wort Startup dabei mit weg.

Regieanweisung: Smart ab.