Mut zur Zukunft?

Rund um die Europawahl und im Nachgang dieser zeigen sich Risse im parteipolitischen Gefüge der Bundesrepublik – Risse, die sehr tief gehen. Woran könnte es liegen? Der Versuch einer Einordnung.

Die Zahlen scheinen eindeutig: alle jüngeren wählen Grüne, SPD und CDU werden von den Alten getragen und die gefühlten Verlierer im Osten haben AfD gewählt. So ließe sich die Lage nach der Europawahl zusammenfassen. Doch das greift deutlich zu kurz.

Werfen wir einen Blick auf das, was in den vergangenen Monaten bei den jüngeren Menschen passiert ist. Da ist zum einen die Frage, ob wir in Zukunft leben können – die Frage des Klimawandels. Schüler gehen jeden Freitag auf die Straße, fordern von Politikern mehr ein als nur vage Worte um den Klimawandel zumindest einzuhegen. Ihr ganzes Leben lang wird über den Klimawandel gesprochen, es wird auch verhalten gehandelt – aber das reicht nicht. Sie fordern, dass nach Jahrzehnten der Worte nun schnell konkrete Maßnahmen ergriffen werden. Sie sagen, unter Berufung auf Wissenschaftler, dass der Ausstoß der Wohlstandsgesellschaft von heute die Überlebensfähigkeit der Menschheit morgen bedroht. Ein Szenario, das vor allem die junge Generation massiv bedroht. Und das wissenschaftlich gut fundiert ist.

Die Antwort einiger Parteien lautet sinngemäß: „Aber die Schulpflicht!“ Doch wenn der Klimawandel voll durchschlägt, ist es egal, ob man Abitur, einen Mittleren Schulabschluss, eine Lehre oder ein Studium hat. Dann geht es um das nackte Überleben der Menschheit.

Es wäre so, als ob die Unionsparteien oder die FDP im Kalten Krieg gesagt hätte: Morgen könnte die Sowjetunion einmarschieren – um anschließend darauf hinzuweisen, dass man noch nicht genug Verkehrsschilder aufgestellt hätte, die den Einmarsch verbieten.

Es geht um eine ganz reale Befürchtung, die, anders als andere weit weniger reale Befürchtungen im Diskurs der vergangenen Jahre, in einigen Parteien nicht ernst genommen wurden. CDU, CSU, FDP aber auch SPD haben auf diese Befürchtungen keine überzeugenden Antworten, was besonders fatal für jene ist, die als Regierung viel mehr als die Opposition diese Antworten liefern müsste.

Hier geht es also um einen inhaltlichen Konflikt, um Glaubwürdigkeit, um die Frage der richtigen Antwort und darum, wer und was ernstgenommen wird.

Dazu kommt – zeitlich und inhaltlich – etwas Zweites. Anfang des Jahres wurde um Europarecht gestritten, genauer gesagt: um das Urheberrecht. Sowohl in den Unionsparteien wie in der SPD hält sich bis heute das Gefühl, dass die Kritik daran in erster Linie auf den Einfluss großer US-Digitalkonzerne zurückzuführen sei, dass irgendwie doch erst über das europäische Leistungsschutzrecht und dann erst über die Uploadfilter-Problematik debattiert worden sei. So als ob die Artikel 13[17]-Debatte nur das Vehikel zum Verhindern von Artikel 11 gewesen wäre. Ich weiß nicht, ob das nicht in Teilen sogar stimmen könnte, immerhin haben die Konzerne die Kampagnenfähigkeit mit ihren Mitteln durchaus erhöht.

Aber im Kern handelt es sich beim Protest gegen Artikel 13 um den Protest gegen den Angriff auf die eigene Lebenswelt einer ganzen Generation. Einer Generation, der man – in Gestalt von Axel Voss, dem Ritter von der wohl traurigsten Gestalt seit Helga Trüpel – erst einmal kräftig vors Schienbein trat. Einer Generation, die sich erneut nicht ernstgenommen fühlen konnte. Und die Reaktion der Unionsparteien und der SPD auf den Protest?

Komisches Lavieren, Zustimmung durch die Justizministerin und SPD-Spitzenkandidatin unter Verweis auf die Kabinettsdisziplin (die Unionsminister auch schonmal aus Überzeugung, vergleiche Glyphosat und „so isser, der Schmidt“ durchbrochen haben). Zustimmung unter Verweis auf die vage Möglichkeit, über nationale Gesetzgebung doch dieses europäische Übel wieder einzufangen. Das alles wirkt nicht glaubwürdig. Es wirkt planlos, mitunter aufgescheucht, gar hilflos.

Und genau diese beiden zeitlichen Aspekte sind nun zusammengefallen – und haben das Gefühl verstärkt, dass die die Sorgen, Nöte, Ängste und ja, auch Hoffnungen der jüngeren Generation eben nicht ernst genommen werden. Wenn Youtuber, die sonst auch gerne mal zwischen Porsche, Primark und PokemonGo Wegwerfgesellschaftsvorreiter sind, das erkennen und sich für etwas einsetzen, ist das ein gutes Zeichen. Hier sind zwei Unverstandenheiten zusammengekommen.

Für die Parteien geht es auch darum, was sie dieser Kritik zurückspiegeln. Ob ein „Wir haben verstanden“ oder „Nehmt Euch mal nicht so wichtig, ihr habt das nicht verstanden, wir machen das schon“ vermittelt wird. Und genau daran scheitert derzeit die CDU offensiv, bei der SPD ist es allerdings nicht westenlich besser, nur leiser. Das ist tatsächlich brandgefährlich für die sogenannten Volksparteien – denn ihr Auftrag ist, laut Grundgesetz, die Mitwirkung am politischen Willen. Wer aber meint, dass das Mit dort nur so stünde, wird die Wirkung davon erfahren.

Doch vergessen wir nicht, dass all das nur für einen Teil der Bevölkerung stimmt. Es gibt auch einen Teil Deutschlands, der überaltert ist. In dem Akademiker Mangelware sind. In dem es wirtschaftlich nicht gut aussieht. In dem sich über Jahre Vorurteile, Rassismus, Frust und Perspektivlosigkeit festgefressen, verstärkt, gesellschaftlich konsentiert haben. In dem sich die Menschen allerdings ebenfalls nicht ernstgenommen fühlen, in dem die Menschen gerne eine Zukunftsperspektive sehen würden.

Im Osten Deutschlands wirkt bis heute Kohls „blühende Landschaften“-Versprechen nach – dass damit vor allem Rapsfelder gemeint sein könnten, hat damals niemand so gedacht, sicher auch nicht der damalige Bundeskanzler. Es sind Verlusterfahrungen, es ist der Verlust von Sicherheit, Stigmatisierung, Ignoranz, aber auch eine aus der DDR-Erfahrung heraus geborene überzogene Erwartungshaltung daran, dass sich doch „jemand“ kümmern müsse. Eine Nachwirkung des real existierenden Sozialismus ist die Anspruchshaltung gegenüber der im Staat manifestierten Gemeinschaft, die deutlich über die in den meisten Regionen des Westens hinausgeht.

Diese Mischung aus tatsächlicher und gefühlter Benachteiligung, einer Entwertung der Lebensleistung und dem Fehlen an positiven Perspektiven (und nein, Baggerseen als Naherholungsgebiete sind keine Zukunftsperspektive), aus teils nachvollziehbarer, teils schlicht antidemokratischer grundsätzlicher Systemskepsis, die ist ein Boden, auf dem sich natürlich andere Fragen stellen.

Und wer dort nicht einmal mehr Antworten zu geben versucht, was bereits im CDU/SPD/Grüne/FDP-wahlplakatfreien fernen Osten Berlins beginnt, wer nicht aktiv auf diese Menschen zugeht, auch, um ihnen klar zu sagen, dass sie mit der Wahl bestimmter Parteien ihrer eigenen Zukunft auch selbstim Weg stehen, der darf sich darüber nicht wirklich wundern. Kein international agierendes Unternehmen kann es sich leisten, in einem fremdenfeindlichen Umfeld eine Niederlassung zu betreiben.

Was aber allen Bereichen gemeinsam ist: es gibt nur zwei Parteien, die derzeit greifbare Zukünfte propagieren. Die eine Variante ist die der AfD. Die andere die der Grünen. SPD, CDU und auch die FDP haben sich auf die Verwaltung und Gestaltung der aus der Vergangenheit resultierenden Gegenwart konzentriert – aber was morgen wird, scheint ihnen egal.

Das zu ändern dürfte ihre Hauptaufgabe in den kommenden Jahren sein. Aber dafür müsste man die Kritker ernst nehmen. Sich von einigen Positionen verabschieden, von liebgewordenen Gewissheiten. Und sich selbst ehrlich die Frage stellen: Für was und für wen stehen wir eigentlich, wenn es 2025 ist?