Journalist. Das kann man in Deutschland einfach so werden: sagen, man ist Journalist. Und dann kann man hoffen, dass jemand das akzeptiert und man damit sein Geld verdienen kann. Ob man vorher als Model gearbeitet hat, einfach nur studiert, Kekse gegessen oder nichts hat: egal. Und das ist richtig so. Andere gehen einen sehr klassischen Weg, studieren ein Fach, volontieren, arbeiten für Medieninstitutionen. Es gibt viele Wege und nicht „den“ einen.
Das gilt auch für die Frage, wie man Journalismus dann praktisch ausübt. Im Regelfall würde man annehmen: es gibt einen Anlass, aus dem heraus man mit einer Recherche (Nachforschung) beginnt. Das kann alles mögliche sein, im Regelfall versucht ein Journalist sich aber erst einmal schlau zu machen (das klappt unterschiedlich gut, muss hier aber erst einmal keine Rolle spielen). Mit diesem erworbenen Wissen holt ein Journalist sodann Interpretationen, Meinungen, Analysen ein, versucht den Realitätsabgleich zwischen Anspruch und Wirklichkeit, versucht zu prüfen, ob stimmt, was ihm gesagt wird. Auch hier gibt es wieder nicht „den“ Weg, sondern viele.
Es ist jetzt gut zwei Jahre her, da saß ich mit Tilo Jung vor einem Café in Mitte, wir unterhielten uns. Er hatte die Idee für ein Fernsehformat, das er damals gerne Friedrich Küppersbusch bzw. über dessen Produktionsfirma verkaufen wollte, wenn ich mich recht erinnere. Grundidee: Dinge erklären lassen, YouTube-Generation-kompatibel. Tilo Jung stellt naive Fragen.
Das mit Küppersbusch klappte glaube ich nicht so recht, aber ich habe das für eine gute Idee befunden: mir wird im Journalismus zu wenig mit neuen Formaten experimentiert, Mut zum Basteln. Tilo hat sich weiter Gedanken gemacht und schlug irgendwann vor, kurz bei mir vorbeizukommen und über Politik zu quatschen. Kamera: iPhone. Drehort: Küche, meine. 40 Watt und gelbe Tapete. Das logische Ergebnis waren 38:35 lustige Grütze in fieser Bildqualität. Zu lang, zu pseudo, zu irgendwas… Aber uns beiden hats irgendwie Spaß gemacht.
Tilo hat das Format dann versucht weiterzuentwickeln. Statt Journalisten kamen immer mehr Politiker, professionelleres Equipment, es kam (und ging) ein 10-Minuten-Limit, Tilo verabschiedete sich immer mehr vom „Naiven“. Wir haben irgendwann aufgehört, miteinander mal Folgen zu drehen, ohne speziellen Grund oder ohne ein Zerwürfnis. Ich hab ihm manchmal noch Hinweise gegeben.
Seit etwa einem Jahr sitzen wir manchmal nebeneinander in der Bundespressekonferenz (BPK). Die ist im Kern ein Verein, einer, in dem Journalisten Mitglied sind – und zwar die Hauptstadtkorrespondenten von Zeitungen, Radio- und Fernsehsendern, Presseagenturen, aber auch Blogger wie Markus Beckedahl von netzpolitik.org oder der Journalist, Krautreporter und Blogger Thomas Wiegold. Dreimal in der Woche gibt es in der sogenannten Regierungspressekonferenz die Möglichkeit, die Sprecher der Bundesregierung dort zu aktuellen politischen Themen zu befragen. Zudem gibt es eine jährliche Sommer-Pressekonferenz mit der Kanzlerin und sonstige anlassbezogene Termine.
Eines ist bei allen gleich: wer auch immer dort spricht, ist vom Verein der Hauptstadtkorrespondenten dorthin eingeladen worden, dort zu sprechen – und geleitet werden Pressekonferenzen von Vorstandsmitgliedern, gewählt vom BPK-Verein. Regierungspressekonferenzen zum Beispiel dauern deshalb auch so lange, bis auch die letzte Frage gestellt ist (sofern, was aber selten der Fall ist, keine direkte Anschluss-Pressekonferenz im Kalender steht), die Sprecher sind dort Gäste, die vielleicht nicht immer alles so beantworten, wie sich Journalisten das wünschen, aber sich ansonsten (meist) zu benehmen wissen. Weglaufen jedenfalls kann dort niemand von den Sprechern einfach so.
Diese Pressekonferenzen funktionieren in einem „wir und ihr“-Modus: die Hauptstadtpresse fragt, die Regierung antwortet. Jeder Journalist der Mitglied der BPK ist darf grundsätzlich jede Frage an jedes Ministerium stellen und jeder der Anwesenden oder per Leitung Zuhörenden darf jede Antwort verwerten (wie im Plenum des Bundestages sind nicht immer alle im Raum, die mit dem Geschehen weiterarbeiten). Wer seine Fragen also ganz exklusiv beantwortet haben will, sollte nicht dort fragen. Einige Magazine und Zeitungen machen das daher oft auch nicht. Sie fragen lieber bilateral direkt bei den Sprechern der Ministerien an, damit ihnen niemand „ihre Story“ klaut… Im Grundsatz geht es also darum, dort in einem von Journalisten organisierten Raum die Fragen an die Regierung zu stellen, die vermutlich „die Hauptstadtpresse“ und „die Öffentlichkeit“ interessieren. Wer mehr fragen will, kann das jederzeit bei den einzelnen Sprechern und Presseämtern einfordern.
Und genau hier sind wir wieder bei Tilo. Denn der sitzt nun seit gut einem Jahr öfter in der Regierungspressekonferenz, filmt dort „seine“ Fragen und Antworten und veröffentlich diese danach. Manche seiner Fragen sind hilfreich, weil sie relativ undiplomatisch und direkt sind. Aber: sie sind in aller Regel auch ohne jede ernsthafte Vorbereitung gestellt. So kommt es regelmäßig vor, dass Tilo mehrfach Dinge fragt, die zwei Tage vorher in epischer Breite bereits behandelt wurden. Nur hat Tilo sie dann nicht im Video, weil er da mal nicht da war (was häufiger so ist). Oder: er hat sie einfach nicht nachgelesen, alle Protokolle sind im Nachhinein allen Mitgliedern mit Fragendennamen, ohne den Namen des Fragenden auch den beim Bundespresseamt akkreditierten Journalisten auf cvd.bundesregierung.de und auch ganz öffentlich zugänglich. Tilo stellt also sehr viele Fragen, häufig sind einige davon bereits beantwortet.
Hinzu kommt, dass die Bundespressekonferenz der Verein der Hauptstadtkorrespondenten ist, die im Regelfall einiges an Wissen mitbringen und für die die Regierungspressekonferenz nur ein Element ihrer Berichterstattung ist, und nicht der Berichtsgegenstand. Wer „Q&A mit Regierungssprechern“ als Journalismus verkauft, begeht in gewisser Weise einen Etikettenschwindel. Sicherlich könnte man es auch so sehen: der Journalismus entsteht bei Tilo Jung erst in der Langfristperspektive, mit RegierungsPKs und sonstigen Interviews. Aber kurz und naiv gesagt: einige der Pressekollegen sind von ihm gerade ziemlich genervt. Und ich kann es nachvollziehen, weil ich es unkollegial finde, sich nicht vorzubereiten und sich dann öffentlich als Heilsbringer des kritischen Journalismus darzustellen.
Damit wir uns richtig verstehen: Kürzlich schnitt die Sitzungsleitung in einer RegierungsPK Tilo einmal das Wort fast ab, legte ihm öffentlich nahe, Fragen, die nur ihn interessierten, doch bitte bilateral zu stellen. Dafür hat die Kollegin von anderen Mitgliedern wiederum ihrerseits Kritik erfahren. Denn auch wenn er manchmal nervt, hat er das Recht, Fragen zu stellen. Nur muss er eben auch damit Leben, dass andere Vereinsmitglieder ihm nahelegen, sich bei seinen Fragen selbst zu beschränken, sich aber auf jeden Fall inhaltlich vorzubereiten. In einem selbstorganisierten Verein gehört nämlich auch die Rücksicht auf die (zeitlichen) Bedürfnisse der anderen Mitglieder dazu. Und wer so austeilt wie Tilo, sollte ein bisschen Kritik ja auch aushalten können…
Vor einiger Zeit war Tilo mal bei einer Anhörung im Berliner Abgeordnetenhaus eingeladen. Er fragte mich um Rat, ich hab ihm damals einen Lektüretipp gegeben: Horst Köhlers 60-Jahre-BPK-Festbeschimpfung. Vielleicht liest er sie heute noch einmal, und insbesonderen diesen Absatz:
Haltung haben. Es ist ein ziemlich altes Wort. Aber ich finde, es könnte mal wieder in Mode kommen. Genau wie ein anderes, viel schlichteres Wort: Ahnung haben. Zusammen sind sie stark, meine ich.
Vielleicht findet Tilo ja die Zeit, zur Mitgliederversammlung der BPK zu kommen. Der Tagesordnungspunkt „Sonstiges“ bietet ausreichend Platz für diese Diskussion, wenn man sie denn führen mag.
tl;dr: Tilo Jung nervt manche Kollegen, weil er keine Ahnung hat und zu faul ist zur Vorbereitung. Die Pressefreiheit ist derzeit weder dadurch noch durch Tilos Fragen gefährdet.
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