Großer Bundestag: Wie wärs mit großen Fragen?

Der neue, 19. Deutsche Bundestag wird aller Voraussicht nach aus 700 Abgeordneten bestehen. Und viel ist in den vergangenen Stunden darüber geschrieben und gesagt worden, was denn alles Schreckliches in diesem Drölfparteienparlament (genau genommen sind es, soweit derzeit absehbar, Vertreter von 7 Parteien) passieren wird. Man kann das Ganze aber auch umdrehen und sagen: ein durch das Wahlergebnis aufgeblähter Bundestag ist eine Chance: Denn in Deutschland stehen einige Großbaustellen an.

Der große Vorteil von Enquete-Kommissionen: sie sind eine Art gemeinsame Lerngruppe des Bundestages, bei dem Wissen bei allen Beteiligten entsteht, bei dem auch gemeinsame Empfehlungen ausgesprochen werden können. Aber es gibt keinerlei sofortigen Umsetzungsdruck, keinen Zwang zu irgendetwas, außer, keine Gelder zu verschwenden. Und zugleich erwachsen aus diesen Formaten regelmäßig die – auf Basis unterschiedlicher Weltbilder und Politikvorstellungen gründenden – greifbaren Unterschiede zwischen den Akteuren. Dieser Riesenbundestag könnte auf einige schwierige Fragen Antworten suchen lasssen. Ein Plädoyer für drei Enquete-Kommissionen, die auf je zwei Jahre angelegt werden könnten – falls am Ende doch noch Gesetzgebungsvorhaben daraus entstehen.

#1 Digitalisierung

Während es beim Breitbandausbau vor allem um Vollzug geht, gibt es einen ganzen Stapel Fragen, die auf der Arbeit der 2009-2013er-„Internetenquete“ aufbauend bearbeitet werden könnten – ohne dass schon klar ist, was dabei herauskommt. Und vieles sind Fragen, die nicht im parlamentarischen Alltag geklärt werden können, weil eben auf diesem Status kein konkretes Gesetzgebungsvorhaben anliegt. Beispiele für mögliche Themen:

#1.1 Möglicher Regelungsbedarf bei algorithmisierten Entscheidungen: Grundregeln, Transparenz, Kontrolle und Sanktionen
#1.2 Ethik der Automatisierung im Straßen- und Luftverkehr – Inwieweit kann man Ethik in Algorithmen verpacken?
#1.3 Die Realität öffentlicher IT – ein lösbares Infrastrukturproblem?

#2 Zukunft von Bildung, Arbeit und Rente

In der abgelaufenen Legislaturperiode gab es eine Unmenge an Papieren zu „Arbeit 4.0“ und so weiter. Auch beim Thema Bildung und berufliche Bildung, bei Weiterbildung – überall gibt es Papiere, Experten, Meinungen. Grundsätzlich gilt: Alle müssen immer weiterlernen, ungebrochene Erwerbsbiografien gibt es kaum mehr. Soweit die Analysen, aber jetzt kommt es darauf an, die vielen Vorlagen die es gibt auch in einen größeren, verbindenden Zusammenhang zu bringen.

#2.1 Wie kann Bildung künftig real ermöglicht werden?
#2.2 Wie verhält sich das zur Arbeitswelt, wenn Arbeitsbiografien gemischt „In Ausbildung, Selbständig, Angestellt, in Elternzeit, in Weiterbildung, Angestellt in Teilzeit,  Angestellt in Vollzeit, in Weiterbildung, Arbeitslos, Selbständig, Angestellt in Vollzeit“ sind?
#2.3 Welche Rückwirkung hat das auf das gesamte System der Renten? Wie muss dieses künftig gestaltet sein?

 

#3 Staatlichkeit in der Fläche

In einigen Regionen der Bundesrepublik verschwinden maßgebliche staatliche Institutionen zunehmend aus der Alltagspräsenz der Bürger – teils ist die Verfügbarkeit finanziell nicht mehr vertretbar, die Nachfrage zu gering, die Kosten pro Kopf zu hoch. Aber mit den öffentlichen Institutionen verschwindet auch der Bezug der Bürger zum eigenen Staat. Kann man dieser Entkoppelung des Staates und seiner Bürger entgegenwirken? Wenn ja, wie?

#3.1 Welche Grundbedingungen muss der Staat in der Fläche garantieren, damit staatliche Handlungsfähigkeit und Verfügbarkeit und damit die erlebte Staatlichkeit dort nicht verloren gehen?

#3.2 Kann der Staat über Infrastrukturmaßnahmen etc. der Entsiedelung ganzer Regionen entgegenwirken? Wenn ja, wie? Und zu welchem Preis?

#3.3 Gibt es kreative Möglichkeiten, Ausdifferenzierungen staatlichen Handelns stärker zusammenzufassen, um Verfügbarkeit zu gewährleisten (Beispiel: Arbeitszeit 40% Polizist, 20% Bauhofleiter, 40% flexibel eigenverantwortlich bedarfsgemäß zu verwenden)?

 

Diese drei sind nur Beispiele für Großbaustellen, die ein so großes Parlament angehen könnte – ohne bereits klar zu wissen, was dabei rauskommen wird.