Seit Tagen schaue ich – wie viele andere – stundenlang nebenbei CNN und muss sagen: die Berichterstattung, Kommentierung und Einordnung des Auszählungsgeschehens durch den Sender sind großartig. Doch warum eigentlich? Ist es die technische Aufbereitung? Ist es die Schnelligkeit, die meinem Geschmack entgegenkommt? Ist es die Professionalität, mit der aus historischen Wahldaten und begründet angenommenen Veränderungen der Wahlergebnisse im Laufe des weiteren Auszählgeschehens vorgetragen wird? Die Exaktheit der Sprache der Moderatoren, die kaum Zweideutigkeiten beinhaltet? Dass CNN immer wieder lokale Verantwortliche für die Wahl ins Programm holt? Ja, auch. Aber vor allem ist es eines: die eindeutige Haltung. Nicht zu verwechseln mit Parteilichkeit. Professionelle Haltung.
Wenn Chris Cuomo überdeutlich die Wichtigkeit von Wahlen, von korrekten Auszählungen und den sie tatsächlich ausführenden Menschen betont und sich dann bei den Wahlhelfern bedankt. Wenn Anderson Cooper mit seinem Kühlschrankblick Interviews gewohnt scharf führt. Wenn er und John King sich gegenseitig vorhalten, dass sich einer von beiden eine falsche Zahl haben muss bis die Regie die richtige auf den Knopf im Ohr gibt. Wenn die Einblendung kommt, dass „Spitzenpolitiker der Republikaner die haltlosen Behauptungen Trumps verteidigen“.
Warum mir das „gefällt“? Warum ich das für sogar sehr guten Journalismus halte? Weil Neutralität gegenüber den Bewerbern natürlich geboten ist. Was aber überhaupt nicht geboten ist: He said, she said-Journalismus.
Die neutrale Darstellung eines Kandidaten in einem Wahlprozess, der diesen ad absurdum zu führen versucht, um an der Macht zu bleiben, ist unmöglich. Es wäre gekünstelt und überaus feige, hier nur O-Töne von demokratischen Politikern oder unabhängigen Experten abzufeuern und sich auf einen realitätsignoranten Berichterstatterposten zurückzuziehen.
Donald Trumps Tweets, Reden und andere Äußerungen sprechen für sich, ja. Aber es gibt keinerlei Pflicht und Verpflichtung, diese ungeschnitten und ungefiltert auszustrahlen. Ja, es mag ein zeithistorisches Dokument der Unlauterkeit eines amtierenden US-Präsidenten sein. Und damit ein Fall für HistoryChannel-Dokumentationen. Sie ist zudem jedem jederzeit zugänglich, anders als vielleicht 1970. Und das ist vollkommen richtig so. Es gab aber nie und gibt auch jetzt keine Verpflichtung für Medien, die Äußerungen einer öffentlich bedeutsamen Figur vollumfänglich und ungefiltert wiederzugeben.
Wenn Journalisten Staatsbürger sind, die für ihre Mitbürger die Wahrheit herausfinden sollen, dann ist es ihre verdammte Pflicht, zu beschreiben, ob alles mit rechten Dingen vorgeht oder ob es Unregelmäßigkeiten gibt. Wenn sich aber jemand aus dem demokratischen Konsens verabschiedet und mit seinen Behauptungen, für die ihm alle Möglichkeiten der rechtlichen Prüfung offenstehen, schlicht in einen Bereich bewegt, den man als Systemopposition bezeichnen muss, dann gibt es für Journalisten gar keine andere Wahl, als dies genau so zu benennen. Unbegründetes Unbegründet, Unwahres Unwahr, Unfähigkeit Unfähigkeit zu nennen, das ist, was Journalisten als ureigenste Aufgabe haben. Und zwar dann, wenn sie dies nach bestem Wissen und Gewissen und nach professionellen Standards geprüft und für zutreffend befunden haben. Das sehe ich bei CNN in der Wahlberichterstattung seit Tagen.
Ich habe sehr viel Respekt davor, dass die CNN-Mitarbeiter den oftmals vollkommen abwegig wirkenden Äußerungen Trumps überhaupt nachspüren. Unter anderem dadurch, dass sie fast jeden Interviewpartner, der irgendwelche Auszählungen verantwortet, danach fragen, ob in ihrer Zuständigkeit irgendetwas Wahres an Trumps Äußerungen sei. Und das, ohne sich dabei wegzuschmeißen vor Lachen. Seit gestern wird stoisch erklärt: Wann sind Nachzählungen möglich, welche Veränderungen sind wodurch möglich? Und wie war es in der Vergangenheit? Das ist einfach nur professionell und wenn es gefärbt ist, dann dergestalt, dass es schlicht demokratiebejahend ist.
Der frühere CNN-Journalist und heutige FoxNews-Moderator Lou Dobbs, der Nähe zu den Demokraten unverdächtig, hatte Richard Grenell im Interview, den ehemaligen US-Botschafter in Deutschland. Der trug im Kern vor, was Donald Trump bereits in die Welt posaunte. Dobbs fragte ihn in sehr scharfem Ton, ob denn die entsprechenden rechtlichen Schritte eingeleitet wurden. Grenell sagte, dass dies noch nicht so weit sei, weil er ja jetzt gerade ein Interview gebe. Das war selbst Dobbs zu doof: Er brach das Interview ab und schickte Grenell auf den Rechtsweg. Seitdem sind jedoch keine wesentlichen rechtlichen Erfolge der Trump-Vertreter vor Gericht bekannt geworden – vollkommen unabhängig davon, welche politische Färbung die jeweils zuständigen Richter benannte.
(Dieser doch nicht mehr ganz kurze Blogpost, schnell heruntergeschrieben, ist in gewisser Weise eine Antwort auf den ziemlich anders auf die Berichterstattung und ihre Rezeption schauenden Kommentar von Stefan Niggemeier bei Übermedien, das ihr überdies abonnieren solltet. Denn es ist gut, wenn nicht alle derselben Meinung sind.)